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Höhen und Tiefen durchlebt

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Erinnert: Country-Sänger Johnny Cash – In seinen Liedern geht es um Verstrickung, Sünde und Vergebung

Vor zehn Jahren starb der Country-Star Johnny Cash. Das Leitmotiv seines Lebens und Werks war der feste Glaube an göttliche ­Erlösung.

Manchmal bin ich zwei Personen: Johnny ist der Nette, und Cash macht all den Ärger. Sie kämpfen miteinander!« Der Musiker, der am 12. September 2003 mit 71 Jahren starb, war ein Mensch mit zwei Gesichtern. Hier die populäre Country-Ikone, ein Hüne mit markantem Bassbariton und einem missionarischen Glauben. Dort der raue Rebell, launische Egoist und Drogensüchtige, der mit dem Gesetz in Konflikt kam, mit Schuldgefühlen, Depressionen und Schmerzen rang, sich umbringen wollte, seine Vorsätze verriet und längst am Ende schien.

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: Cash hat alle Höhen und Tiefen durchlebt. Sein geliebter Bruder Jack stirbt jung einen schrecklichen Unfalltod, und der gewalttätige Vater gibt Johnny die Schuld daran. Die erste Ehe zerbricht am kometenhaften Ruhm, endlosen Tourneen und ungezügelter Tablettenabhängigkeit. Dann wieder schicksalhafte Fügungen. June Carter, die er 1968 heiratet, ist die Liebe seines Lebens, eine Seelenverwandte, ein fester Halt. Auch dank ihr entbrennt sein Glaube neu – er studiert die Bibel, nimmt Gospel-Alben auf und produziert 1973 einen Jesus-Film, in dem er als Erzähler sowie June als Maria Magdalena mitwirken – laut eigener Aussage das »wichtigste Projekt« seines Lebens. Seit Anfang der 70er tritt Cash nur noch als »Man in Black« auf – mit seiner schwarzen Kleidung trauert er um die Armen, Vergessenen – und auch um die, »die Gottes Wort nicht kennen oder hören wollen«. Später schreibt Cash, der durch June und seinen Halt im Glauben seine Süchte in den Griff bekommen hat, einen Roman über den Völkerapostel Paulus (»Der Mann in Weiß«), mit dessen Wandlung, Heilserfahrung und Missionsbereitschaft er sich identifiziert.

Johnny Cash bei einem Konzert im Jahr 1994.. Foto: picture-alliance/ dpa

Johnny Cash bei einem Konzert im Jahr 1994.. Foto: picture-alliance/ dpa

Doch nach neuen Hits und einer eigenen Fernsehshow beginnt sein Stern Mitte der 70er langsam zu sinken – in der Countryszene setzt man auf neue, seichtere Töne. Der »Man in Black« mit seinen ernsten Liedern von Liebe, Gott, Verbrechen und Gerechtigkeit wird zum Auslaufmodell – und steht ­irgendwann ohne Plattenvertrag dar.

Da nimmt sein Leben eine weitere ungeahnte Wendung: der gerade mal 30-jährige Rick Rubin, zottelbärtiger Gründer der durch Rap- und Hardrock-Alben bekannten Plattenfirma »American Recordings«, spricht Cash 1993 an und bittet, ihn produzieren zu dürfen. Akustisch, nur mit Gitarre, aufs Wesentliche reduziert – Lieder, die dem Musiker am Herzen liegen, eigene und fremde Songs, die zu seinem düsteren Mythos passen. Rubin sei für den damals 62-Jährigen ein Geschenk des Himmels gewesen, »wie ein Engel, der in sein Leben herabkam«, sagt Cash-Tochter Rosanne. Das Ergebnis – eine kleine Auswahl aus 218 Studio-Aufnahmen – klang so eindringlich, so klar und authentisch, dass die schlicht »American Recordings« genannte Platte das wohl größte Comeback der Musikgeschichte einleiten sollte.

Dass sie nicht nur von Kritikern hochgelobt, sondern auch und gerade von vielen jungen Leuten außerhalb der Country-Szene geliebt wurde, ist ein kleines Wunder – auch, weil das Leitmotiv so uncool daherkommt: Es geht um Verstrickung in Sünde und Schuld – und die Hoffnung auf göttliche Vergebung. »Redemption«, Erlösung, ist denn auch eines der eindrucksvollsten Stücke. Als Cash das Lied 1994 in Montreux singt, herrscht stille Ergriffenheit. Er sagt: »Wenn es keine Vergebung gäbe, wäre ich jetzt nicht hier!« Schuld und Erlösung – dieses Themenfeld sollte auch die fünf weiteren »American«-Alben dominieren.

Ein Vermächtnis, das zu Tränen rührt

Mit weiter spärlicher Instrumentierung arrangiert Cash alte Lieder neu oder macht sich moderne Stücke zu eigen – wie »Personal Jesus«: Von »Depeche Mode« als Wunderheiler-Verulkung gedacht, macht der Baptist ein Zeugnis persönlicher Gottesbeziehung daraus und wirbt für einen Glauben, der greifbar real ist: »Reach out and touch faith!« Und bei »Hurt«, das in der Ursprungsversion der »Nine Inch Nails« vom Elend eines Heroin-Junkies erzählt, reflektiert Cash gegenüber Gott, seinem »süßesten Freund«, über Sterblichkeit, Einsamkeit und die Schmerzen, die seinen Körper unablässig peinigten. In »Meet Me in Heaven«, der Grabinschrift seines Bruders, zeigt er sich überzeugt von einem Wiedersehen nach dem Tod, und »The Man Comes Around« (Wenn der Herr wiederkommt) bereitet mit apokalyptischer Metaphorik aufs Jüngste Gericht vor.

Der erfolgreichste und erst posthum erschienene fünfte Teil der »American Recordings« entsteht zwischen dem Tod seiner geliebten June im Mai 2003 und dem eigenen vier Monate später. Fast blind und im Rollstuhl sitzend bittet Cash den Produzenten, ungeachtet der Umstände weiterzumachen: »Gib mir zu arbeiten. Wenn ich an June denke, sterbe ich!« Mit brüchiger, aber würdevoller Stimme und im Wissen, dass ihm nur wenig Zeit bleibt, singt der Schwerkranke zwölf Lieder über Rückblick, Dankbarkeit, Tod und Erlösung – ein Vermächtnis, das zu Tränen rührt. »Mit demütigem Herzen und gebeugten Knien flehe ich Dich an: Bitte, hilf mir. Steig von Deinem goldenen Thron tief herunter zu mir – ich brauche die Berührung Deiner sanften Hand!« (»Help Me«). Und mit Blick auf June: »Eines sonnigen Morgens werden wir auferstehen, und dann treffe ich Dich wieder – ein Stück weiter die Straße hoch« (»Further on up the Road«). Tief anrührend auch ein Lied, das man im Wissen um Cashs düstere Zeiten nur als demütiges Credo verstehen kann: »Ich begann an eine Macht zu glauben, die viel größer ist als ich / ich kam zu der Einsicht, dass ich Hilfe brauchen würde, um durchzukommen / in kindlichem Glauben lenkte ich ein und gab Ihm eine Chance. Und ich begann an eine Macht zu glauben, die viel größer ist als ich« (»I Came to Believe«).

Die Liebe überwindet den Tod

Cash war todkrank, einsam, unendlich traurig – aber er war mit sich, Gott und der Welt im Reinen, wie sein Sohn John Carter berichtet: »Er hatte einen Sinn, er hatte Glauben, und er hatte ohne sein Zutun einen Frieden, den Gott ihm schenkte. Ich glaube, das war die Gnade in seinem Leben, und darin lag die Erlösung.« Der bibelfeste Christ, war fest überzeugt, dass die Liebe den Tod überwindet und den Weg freimacht für ein neues Leben. Das letzte Lied, das der Paulus-Bewunderer vor seinem Tod schrieb und das ihm besonders am Herzen lag, verdeutlicht dies mit einem Zitat aus dem 1. Korintherbrief: »Tod, wo ist dein Stachel? … Leben, du bist ein leuchtender Pfad – und die Quelle der Hoffnung wird auf ewig sprudeln, wenn mein Erlöser mich zu sich winkt«.

Tobias Wilhelm


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